Natürliche Geburt von Zwillingen: Mein Geburtsbericht - Teil 2
Triggerwarnung: In diesem Geburtsbericht verarbeite ich die teilweise traumatischen Erfahrungen der Geburt meiner Zwillingsmädchen. Wenn du gerade schwanger bist und mit Ängsten zu tun hast, solltest du hier vielleicht nicht weiterlesen.

Schon ab dem Ende des ersten Trimesters begann ich damit, mich mit den Meditationen von “die Friedliche Geburt” auf den großen Tag vorzubereiten. Denn ich wünschte mir eine möglichst natürliche Geburt, die ich mit Hilfe von Hypnobirthing unterstützen wollte. In meinem Kopf gab es eine genaue Vorstellung, wie der Tag der Geburt aussehen sollte: Beim Einsetzen der Wehen wollte ich in die Badewanne, anschließend im Schlafzimmer mit der Hypnobirthing-Meditation starten, bis die Wehen stark genug waren, um ins Krankenhaus zu fahren (und nicht wieder weggeschickt zu werden).
Natürlich war das ein Wunschszenario und natürlich wusste ich, dass es auch anders kommen konnte.
Am Limit
Im ersten Teil meines Geburtsberichtes habe ich bereits von den körperlichen Anstrengungen und Schmerzen erzählt, die mich in den letzten Schwangerschaftswochen quälten. Mein Bauch war inzwischen so riesig, dass ich es kaum alleine aus dem Bett, geschweige denn aus der Badewanne heraus schaffte. Ich fühlte mich wie ein Wal. Ein gigantischer, schwangerer Wal. Während mich noch vor ein paar Wochen jeder weitere Tag erleichtert hatte - schließlich bestand zwischendurch bei uns ein Frühgeburtsrisiko -, wachte ich nun morgens immer ungläubiger auf. Nie hatte ich damit gerechnet, es mit den Zwillingen bis in die 38. Schwangerschaftswoche zu schaffen. Ich war stolz und gleichzeitig am Ende.
Meine Hebamme gab mir ein Rezept für einen wehenfördernden Tee, ich bewegte mich, massierte, badete, visualisierte und meditierte. Aber es tat sich nichts.
Die Wassereinlagerungen in meinen Beinen und Füßen brachen einen neuen Rekord: Mir passte kein Paar Schuhe mehr, bis auf die Birkenstocks, in die ich mich hinein quetschte. Zu meinem Routinetermin im Krankenhaus nahm ich mir ein Uber, denn selbst der Weg zur Straßenbahn war mittlerweile nicht mehr machbar für mich.
Die Oberärztin im Krankenhaus brachte es auf den Punkt:
“Ihr Körper ist am Limit, der kann nicht mehr.”

Das war hart zu hören, aber irgendwie fühlte ich mich auch verstanden. Ich stellte mich also nicht an, das Gefühl der körperlichen Erschöpfung war real.
Die Ärztin betrachtete mich sorgenvoll, “wir sind jetzt an einem Punkt, da ist die Schwangerschaft einfach zu viel für Ihren Körper. Wir sollten über eine Einleitung der Geburt sprechen.”
Obwohl ich mich immer gegen diesen Gedanken gesträubt hatte - ich wollte, dass die Wehen natürlich
einsetzen, dann, wenn wir alle bereit waren - mit Hinblick auf meine Beschwerden klang eine Einleitung plötzlich gar nicht mehr so schlecht. Auf meine Frage, wann sie sich das vorstellte, antwortete die Ärztin: “Gleich morgen.”
Krass. Ich war aufgewühlt, doch ich stimmte zu. Der Gedanke, vielleicht schon am nächsten Tag meine beiden Mädchen in den Armen zu halten, beflügelte mich.
Der Rest des Tages war total surreal. Wir besprachen zuhause nochmal den Ablauf, checkten die Kliniktasche (ein Koffer und eine Reisetasche - natürlich war das viel zu viel) und machten uns Mut. Am Abend brachte mich mein Freund zurück in die Klinik. Ich wurde aufgenommen und sollte die Nacht bereits auf der Station verbringen, bevor am nächsten Morgen um 9 Uhr die Einleitung startete.
Nun lag ich also auf meinem Zimmer, mit meinem riesigen Bauch, dem leeren Zwillingsbettchen neben mir und fieberte auf das hin, was vor uns lag.
Die Einleitung beginnt
Am nächsten Morgen traf ich um Punkt 8 Uhr im Kreißsaal ein. Eine nette Hebamme nahm mich in

Empfang und zeigte mir die Räumlichkeiten. Ich zog mein Geburtskleid an und machte es mir bequem, bevor ich an den Wehentropf angeschlossen wurde. Um 10 Uhr kam mein Freund dazu - ich war unfassbar dankbar, dass er trotz Corona dabei sein konnte. Keine Ahnung, wie ich das Ganze sonst überstanden hätte.
Ich startete die Geburtsmeditation von “die friedliche Geburt”, die mich in den nächsten Stunden begleiten sollte. Die vertraute Stimme gab mir Sicherheit und etwas, an dem ich festhalten konnte. Die Wehen begannen langsam. Gegen Mittag steigerten sie sich und ich wechselte von der Liege in die Badewanne. Alles war so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich konnte die Wehen gut veratmen, so wie ich es im Geburtsvorbereitungskurs gelernt hatte und mein Freund massierte immer wieder meinen Rücken, um Verspannungen zu lösen.
Stunde um Stunde
Als die erste Untersuchung anstand war ich motiviert. Ich hatte das Gefühl, schon eine Menge mitgearbeitet zu haben, die Schmerzen waren mittlerweile stark. Dann kam die unschöne Überraschung: Der Muttermund hatte sich noch so gut wie gar nicht geöffnet.
Also weiter. Die Stunden verstrichen, die Anstrengung steigerte sich, die Schmerzen auch. Doch auch bei der nächsten Untersuchung musste mich die Hebamme enttäuschen. Es hatte sich so gut wie nichts getan. Mittlerweile war es Abend. Weil es nicht voran ging, wollten die Hebammen das weitere Vorgehen mit mir besprechen. Ich musste die Meditation abbrechen. Denn obwohl ich einen recht ausführlichen Geburtsplan geschrieben hatte, gab es zu viel Klärungsbedarf.
Die Dosis des Wehenmittels wurde erhöht. Außerdem gab einen Schichtwechsel bei den Hebammen, was mir zugute kam. Meine neue Hebamme war in Akupunktur ausgebildet und setze mir einige Nadeln, die die Geburt unterstützen sollten. Weitere Stunden vergingen, die Schmerzen waren mittlerweile so stark, dass ich kaum glauben konnte, dass sich der Muttermund nicht öffnete. Noch mehr Wehenmittel. Ich hörte wie die Hebammen darüber sprachen, die Geburt abzubrechen und es morgen wieder zu versuchen. Der Gedanke machte mich fertig. Die vielen Stunden Schmerzen und Schweiß konnten nicht umsonst gewesen sein.
Das Oxytocin des Wehenmittels machte mich schwummerig. Ich bekam nun die Höchstdosis - der Fortschritt war trotzdem minimal.
Irgendwann kam die Hebamme mit der Oberärztin zurück ins Zimmer, neuer Plan: Die Fruchtblase sollte geöffnet werden, um das Öffnen des Muttermundes zu unterstützen. Also los. Mittlerweile war mir jedes Mittel recht, um die Geburt weiter in Gang zu bringen.
Die Schmerzen wurden kaum aushaltbar.
“Das sind jetzt richtige Wehen”,
kommentierte die Hebamme. Der Muttermund hatte sich nun ca. drei Zentimeter geöffnet. Drei Zentimeter nach über 10 Stunden Schwerstarbeit. 6 Zentimeter fehlten noch. Und ich war jetzt schon am Ende.
Pause, Pizza, PDA
Obwohl ich es nicht geplant hatte, gab ich dem Vorschlag der Hebamme, eine PDA in Anspruch zu nehmen, nach. Denn für zwei Geburten fehlte mir mittlerweile die Kraft.
Die Narkose-Ärztinnen kamen, legten die PDA und ich konnte endlich durchatmen. Mit der Hebamme besprachen wir das weitere Vorgehen: Der Wehentropf sollte abgestellt werden, damit ich in der Nacht etwas schlafen und Kraft tanken konnte, am nächsten Morgen sollte es weitergehen. Diese Pause klang jetzt doch gut, denn die Schmerzen flachten zwar ab, aber die Erschöpfung nahm zu. Genauso wie mein Hunger - unsere Snacktasche war fast leer.
Um 22:00 Uhr bestellten wir Pizza in den Kreißsaal. Die ist auf jeden Fall unter den Top 10 Pizzen, die ich je gegessen habe.
Durch die PDA konnte ich in einen unruhigen Schlaf fallen, der immer wieder vom Piepen des CTGs und den Kontrollbesuchen der Hebammen unterbrochen wurde.
Endspurt
Keine Ahnung wie spät es war, als die Hebammen (mittlerweile die vierte Schicht) uns am Morgen weckte. Ab hier verschwimmen meine Erinnerungen. Der Wehentropf wurde angestellt und die Wellen trafen mich mit voller Wucht. Zwei oder drei Stunden lang.
Dann öffnete sich die Tür und eine ganze Mannschaft an Ärzt*innen und Hebammen trat ein: Die Oberärztin, zwei weitere Ärztinnen, ein Assistenzarzt, zwei Kinderärzte, zwei Hebammen. Das war das Zeichen dafür, dass es jetzt so richtig los ging.
Wie viel ich mich auch vorbereitet hatte - mit dem Einsetzen der Presswehen vergaß ich alles. Die Zeit stand plötzlich still. Das Außen verschwommen. Nur Wellen, Druck, Angst, Erschöpfung. Ich hatte keine Kraft mehr.
Doch dann war die Stimme meiner Hebamme da. Laut, präsent und irgendwie führte sie mich durch.
Um 10:26 kam die kleine Nova Marie mit 2900 Gramm zur Welt. Ich konnte einen kurzen Blick auf sie werfen, bevor der Papa mit ihr an den Untersuchungstisch am anderen Ende des Raumes ging.
Die Hälfte war geschafft. Doch ich wusste, dass der Teil der jetzt kam noch härter werden würde. Die Oberärztin hatte mir erklärt, dass mein Bauch nun für die Geburt des zweiten Kindes geschient werden müsse, damit sich das Baby nicht quer legen konnte. Eine weitere Ärztin lag jetzt halb auf mir und drückte bei jeder Wehe mit ihrer ganzen Kraft meinen Bauch seitlich zusammen. Ich hatte das Gefühl, kaum Luft zu bekommen. Das starke Druckgefühl, die Taubheit durch die PDA, die Hebamme, die mich immer wieder aufforderte weiter zu pressen - das war zu viel. Und etwas stimmte nicht. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht weiterging. Mein Freund war plötzlich wieder an meiner Seite. Wir hatten eigentlich besprochen, dass er beim ersten Baby bleiben sollte, aber jetzt war er hier. Das CTG piepste und ich hoffte, dass meine schlimmste Befürchtung - ein Notkaiserschnitt beim zweiten Baby - nicht eintreten würde.
Doch kurzzeitig sah es genau danach aus. Trotz der Schienung hatte sich mein zweites Baby eingedreht und lag nun in der “Sterngucker”-Position. Es folgte ein Geburtsstillstand. Die letzte Möglichkeit, die Geburt fortzuführen, war mit Hilfe der Saugglocke.

Ich bekomme nicht mehr zusammen, wie genau der Ablauf war. Keine Ahnung, ob es an den Schmerzen, der Überforderung oder meinem starken Blutverlust lag, mein Gehirn schaltete auf Autopilot.
Um 11:08 erblickte Juno Sophie das Licht der Welt. Nach über 26 Stunden waren meine beiden, gesunden Zwillingsmädchen geboren.
Ich hielt die beiden nur kurz im Arm, ehe ich vollkommen erschöpft einschlief. Als ich wach wurde, brachte man uns auf die Wöchnerinnenstation. Eine lange, schwere Woche blieben wir. Nicht wegen der Mädchen, sondern wegen mir. Ich hatte bei der Geburt viel Blut verloren und benötigte zwei Bluttransfusionen, um wieder stabil zu werden.
Diese Geburt war das Härteste, das ich in meinem Leben durchgemacht habe. Ich bin stolz auf uns.
Würde ich rückblickend wieder diesen Weg einem geplanten Kaiserschnitt vorziehen? Ich denke ja. Aber ich verstehe auch jede Frau, die sich anders entscheidet.